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[Übersicht der Interviews]
Amon Ra
Prog & Fun
Der Underground mit seinen unzähligen Nachwuchsbands wächst und gedeiht ständig, aber trotzdem kommt es nur alle paar Jahre vor, daß eine echte Perle entdeckt wird, die das Zeug zum ganz großen Durchbruch hat. Vor allem das Progressive Genre hat mit solchen Senkrechtstartern seine Probleme, denn oftmals orientieren sich die meisten Demo-Bands extrem an ihren großen Vorbildern (in der Regel MARILLION, GENESIS oder DREAM THEATER) und vergessen dabei, einen eigenen Stil zu finden, der sie aus der Masse der Prog Bands herausragen läßt. Genau das ist aber der süddeutschen Formation AMON RA gelungen, die mit
Precarious Balance eine CD-Eigenproduktion veröffentlicht hat, welche die Fans verstärkt aufhorchen lassen dürfte. Das Album besticht durch technisches Können, durchdachte Arrangements und einer gehörigen Portion Abwechslungsreichtum, aber obendrein haben AMON RA auch das Feeling nicht vergessen, das letztendlich auch der technisch perfektesten Scheibe erst den letzten Kick gibt. Demzufolge ist es wieder einmal an der Zeit, sich näher mit dem Underground zu beschäftigen und speziell diese Band zu Wort kommen zu lassen, um sie auf diese Weise einem größeren Publikum vorzustellen. Und wie so oft bei einem Interview mit einer Band im Demo-Stadium rangierte der Spaßfaktor an erster Stelle, was teilweise dem folgenden Interview mit Scott Balahan (Vocals) zu entnehmen ist ...
? Hi Scott, zu Beginn die typische Standardbitte - stellt Euch doch erst einmal selbst mit Eueren eigenen Worten vor ...?
In den Urzeiten von AMON RA - Anfang der 90er - hatten wir ein stark 70er Jahre geprägtes Programm. Nach einiger Zeit verspürten wir aber zunehmend Lust auf anderen musikalischen Pfaden zu wandern, denn die 70er und das typische 70ies Feeling waren nun mal leider vorbei. Also begannen wir einfach die Musik zu machen, die uns begeisterte. Aus dieser Zeit stammt das Instrumental The Story Of Beren And Luthien. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch gar nichts von einem Genre namens "Progressive-Rock" gehört. Wir fühlten uns also von vornherein in dieser Art Musik heimisch. Erst viel später entdeckten wir andere Bands und deren Werke. Die Quintessenz: Rock war schon immer vorherrschend; Prog oder progressive Elemente kamen später hinzu - von daher fallen wir in die Sparte Prog Rock.
? Stilistisch steht Ihr meiner Meinung nach in einem musikalischen Raum zwischen Prog Rock und Progressive Metal. Stimmst Du dem zu?
Da hast Du sicherlich Recht. Wir tendieren allerdings wahrscheinlich eher zum Rock als zum reinen Metal. Wobei wir, was die Musik im allgemeinen betrifft, alles ausloten wollen, also auch den Härtegrad. Wir sind als Band sehr stark an musikalischer Vielfalt interessiert und wenn ein entstehender Song nun heavier ausfällt, dann preschen wir eben los. Und gleichzeitig, wenn uns ein sphärischer Keyboard-Sound als Inspirationsquelle dient, dann heißt es genauso "Augen zu und tragen lassen". Sich selber musikalische Grenzen zu setzen ist das schlimmste (aber leider auch leichteste) was ein Musiker machen kann. Das machen doch die anderen, d.h. Musikindustrie und Kritiker, schon für einen.
? Wer fühlt sich Deiner Erfahrung nach mehr zu Euch hingezogen: reine Progger oder mehr die Prog Metaller?
Wer sich von beiden letztendlich mehr zu uns hingezogen fühlt, spielt für uns eigentlich gar keine Rolle. Im Gegenteil: wir versuchen das Publikum weder durch "Extreme-Gitarren-Frickeling" oder durch Taktverschiebungsorgien zu beeindrucken oder zu überfordern. Unsere Songs müssen in sich eine Balance wahren. Wer auf abgefahrene Riffs und Takte steht, kommt bei uns sicher auf seine Kosten. Aber auch Leute, die einfach mehr auf atmosphärische Songs und schöne Melodien stehen, fühlen sich bei uns wohl. Und sogar Leute, die abtanzen wollen, können mit unserer Musik etwas anfangen. In Bezug auf den Anteil Metaller oder Rocker auf den Konzerten kann ich nur sagen, daß wir live im Vergleich zur CD schon kraftvoller und härter klingen. Extremes Headbangen ist zwar bis jetzt nicht aufgetreten, aber das neue Material, das wir live schon spielen, tendiert doch etwas stärker in Richtung Härteres. Dabei wollen wir aber die Melodien und Feinheiten nie aus den Augen bzw. Ohren verlieren. Allgemein unterscheiden wir uns aber von vielen Prog Rock Bands hinsichtlich der Live-Energie, denn viele Vertreter dieser Sparte versuchen eher ihr (sicherlich vorhandenes) technisches Können zu demonstrieren und vergessen dabei, daß die meisten Zuschauer wenig oder gar nichts von Musik verstehen. Die Anwesenden sind Zuschauer und nicht nur Zuhörer und man kann sie nur durch Ausstrahlung und Energie - gute Musik vorausgesetzt - für sich gewinnen. Zu viele verschachtelte, überlange Titel strapazieren dabei die Live-Gehör-Nerven, wobei der ein oder andere ja auch nicht stört. Wir sehen uns live eindeutig als Rockband und nicht als Prog Band hinsichtlich Show und Vibrations. Jedoch bewahren wir auch hier eine Balance durch die ruhigeren Stücke.
? Euer Bandname stammt aus der ägyptischen Mythologie. Inwieweit habt Ihr diese Thematik in Eure Musik einließen lassen?
Der Name AMON RA existierte schon bevor wir diese Art Musik machten. Klar macht es mal Spaß, bei Songs wie In The Name Of Ra orientalische Elemente und Stimmungen mit einfließen zu lassen. Ansonsten ist der Name aber kein Credo für uns: hört sich gut an, prägt sich gut ein und hebt sich wohlwollend von den üblichen Fantasy-Prog-Namen ab.
? Welche Themen habt Ihr sonst noch verarbeitet und gibt es spezielle Problematiken, die Euch besonders am Herz liegen?
Abgesehen von den chronologisch betrachtet ersten zwei Titeln, die sich mit phantastischen Themen befaßten, handeln meine Texte im allgemeinen von spirituellen Themen, wie z.B. innere Ruhepole als Meditation oder die Suche nach nicht-materieller Zufriedenheit. Da ich mich in meiner Freizeit mit fernöstlichen Religionen beschäftige und von ihrem Reiz und ihren vielen augenscheinlichen Paradoxen fasziniert bin, fließen diese natürlich manchmal hauptthematisch und manchmal unterschwellig mit ein. Ich sehe mich aber nicht als Möchtegern-Weltverbesserer, sondern möchte einfach meine Gedanken mit anderen teilen. Texte gegen das System oder über die Industrialisierung unserer Gesellschaft flossen bisweilen nicht aus meiner Feder, das sollen ruhig Punk Bands, Hardcore Bands oder Leute wie Bono (U2) machen. Ansonsten versuche ich mich von den grausamen Don't Leave Me Baby, You Are My Badewanne Schnulzen fernzuhalten. Allerdings wenn ich CELINE DION und My Heart Will Go On And On And On sehe, werde ich gleich jetzt einen Text über den Untergang meiner gelben Badeente dichten, Qualität zahlt sich ja bekanntlich immer aus (lacht).
? Das Cover von Precarious Balance ist sehr technisch konzipiert. Wie wichtig ist Technik in der Musik für Euch und wie findet Ihr die richtige Balance zwischen Technik und Gefühl?
In Bezug auf das Cover kann ich nur sagen, daß unser Keyboarder und Möchtegern-Graphiker unfähig ist, ein handgemaltes Bild zu erstellen und sich somit voll und ganz auf den guten alten Computer verlassen hat (lacht). Aber im Ernst: die Technik spielt bei uns schon eine wichtige Rolle, z.B. um die ausladenden Keyboardteppiche und den einen oder anderen Gitarrensound zu erzeugen. Jedoch versuchen wir nicht mit Technik und Sounds songwriterische Defizite zu kaschieren oder zu ersetzen, wie es doch sehr oft vorkommt. Die Songs, die live oder auf CD am besten funktionieren sind immer noch die Songs, die sich auf einer Gitarre am Lagerfeuer oder einem einfachen Klavier spielen lassen. Diese kann man natürlich nach dem Songwritingprozeß mit Sounds, Effekten und sonstigen Spielereien anreichern. Wenn die Grundidee also gut genug ist kann man fast alles damit anstellen.
? Precarious Balance hat meiner Meinung nach sowohl soundtechnisch als auch spielerisch eine Klasse, die fast ohne Abstriche einen guten Deal verdient hätte. Wie sieht es in dieser Beziehung zur Zeit aus ... habt Ihr gerade etwas am laufen?
Es sieht relativ düster aus! Wir haben bisher 11 CDs verschenkt und ein Konzert im Vorgarten meiner Tante gespielt, das wir aber nach einer dreiviertel Stunde abbrechen mußten, weil der Hund ins Notstromaggregat gepinkelt hat, HaHa. Die Labels lehnen alle ab, weil unsere selbstgeschnitzten CDs alle nicht richtig rund geworden sind ... aber das Schlimmste ist: wir sind gezwungen worden, ab Oktober mit SAGA auf Tour zu gehen (lacht). O.k. - das mit SAGA stimmt wirklich, aber alles andere ist natürlich nur Spaß. Und um die Frage ernsthaft zu beantworten: wenn alle Deiner Meinung wären, wären wir METALLICA, aber die haben kurze Haare, und das ist uncool. Das Label, das der gleichen Meinung ist, melde sich bitte unter Chiffre ... (lacht). Nee, aber jetzt mal wirklich ernsthaft: zur Zeit haben wir verschiedene Angebote vorliegen, aber solange noch nichts spruchreif ist, möchte ich dazu nichts genaues sagen.
? Dann halt andersrum gefragt: wie sieht eigentlich Euer Traumangebot aus? Welche Faktoren wären bei potentiell interessierten Labels am wichtigsten für Euch?
Mit JOHN TRAVOLTA um die Wette steppen. Eine Nacht lang mit MARILYN MANSON im C&A eingesperrt zu sein. Ein "Frühstück-Danach" mit Jennifer Lopez. Und schließlich einen pfefferminzgrünen Cadillac mit hellpinken BACKSTREET-BOYS-Logo (lacht sich halb kaputt). Aber jetzt wieder im Ernst: Wir hatten diverse Angebote von etablierten Prog-Labels (unter anderem Musea), haben jedoch abgelehnt, weil wir nicht auf den progressiven Markt beschränkt werden wollten. Meistens fehlt diesen Labels der Kontakt zu den Medien, sie haben ihren festen aber stagnierten Kundenkreis und wagen sich nur wenig außerhalb ihres abgesteckten Prog-Territoriums. Wir wissen zwar auch, daß wir nicht Prime-Time MTv tauglich sind, aber anhand von dem Erfolg von z.B. DREAM THEATER kann man sehen was für Möglichkeiten ein Major-Label hat um die Sachen zu promoten. Und, daß man auch "Normalos" dafür begeistern kann! Wir haben ja auch viele Mainstream-Einflüsse in unserer Musik und möchten uns nicht musikalisch auf Prog einengen. Wenn eine drei Minuten Ballade aus dem Nichts entsteht, dann müssen wir diese nicht durch einen acht-minütigen Prog-Mittelteil "unkommerziell" machen. Aber ebensowenig möchten wir einen integralen Songbestandteil, wie ein wichtiger Break oder ein schräger Akkord für die Masse umändern, damit der typische PUFF DADDY Konsument nicht schlagartig seine motorischen Fähigkeiten verliert.
? Wie schaut's aus mit Live-Auftritten? Wo und wann kann man Euch auch mal live on stage sehen?
Am 1. Oktober treten wir im Live Club in Bamberg mit ESTHETIC PALE auf. Und ab Ende Oktober sind wir dann für drei Wochen mit SAGA auf Deutschland Tournee. Das sind insgesamt 17 Shows und wir wollen doch mal sehen wieviel Sex, Drugs and Rock'n'Roll die Jungs auf ihre alten Tage noch vertragen. Ich habe sie aber letztes Jahr gesehen und kann nur sagen, daß sie live einige Bricketts drauflegen, also wirklich abrocken, und eine Super Show liefern.
? Letzte Frage: In welcher Beziehung müßt Ihr noch an Euch arbeiten?
Abgesehen von einem dringend nötigen Fitness-Studio-Besuch und einem Stepp-Kurs, streben wir es an, konsequent unsere musikalischen Ideen umzusetzen. Dies bedeutet, daß, wenn wir musikalisch konsequent musikalische Musikideen in die Musik hineinmusizieren, wir musikalisch konsequent musikalische Musikideen in die musikalische Musik musizieren würden. Aber eigentlich möchten wir wie bisher weitermachen (lacht).
Wolfgang Volk (01.09.1999)