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[Übersicht der Interviews]
Vicious Rumors
... visionärer Technologiealptraum ...
VICIOUS RUMORS - ein Name, der mit dem Begriff "Metal" bereits seit mehr als 10 Jahren fest verbunden ist, und der aus dieser Szene kaum noch wegzudenken ist. Und obwohl die Band so manche Schicksalsschläge (allen voran der Tod Carl Alberts) und diverse Line-Up Wechsel hinnehmen mußte, war sie immer ein Garant für ehrlichen, bodenständigen Power Metal. Nachdem die Stimmen zu
Something Burning allerdings nicht überall durchweg positiv waren, hat man sich wieder alter Tugenden besonnen und zusammen mit einem neuen Sänger (Brian O'Connor) ein Album abgeliefert, das musikalisch eher zu den älteren Veröffentlichungen tendiert und obendrein ein zeitgemäßes und äußerst interessantes Thema behandelt: Die Technologie und ihre Gefahren. Doch nicht nur dieses Zentralthema von
Cyberchrist, auch die persönliche Seite der Band, wurde im folgenden Interview mit Steve Smyth erörtert ...
? Es sieht so aus, als wolltet Ihr mit Cyberchrist Back To The Roots gehen, liege ich da richtig?
Ja und Nein. Wir haben sicherlich die Wurzeln von VICIOUS RUMORS wiederentdeckt, aber ich würde dennoch nicht sagen, daß wir einen Schritt zurück gegangen sind. Ich finde, Cyberchrist ist trotz dieser Rückbesinnung ein Schritt nach vorne, was wohl auch am moderneren Sound liegt. Wenn du so willst, ist das Album gleichzeitig ein Zurückschauen und ein Vorwärtsgehen in einem.
? Ist die Wahl des Produzenten (Steve Fontano) auch ein Indiz für das Zurückblicken auf die Wurzeln von VICIOUS RUMORS?
Ja, auf der einen Seite schon, denn wie Du bestimmt weißt, hat Steve auch unsere ersten beiden Platten Soldiers Of The Night und Digital Dictator produziert. Und wenn man es richtig betrachtet, ist Cyberchrist eine Art Fortsetzung von Digital Dictator, allerdings mit einem anderen Sound.
? Wann und wie kam Brian zur Band?
Wir wollten nach Something Burning VICIOUS RUMORS wieder zu einem Quintett aufstocken, weil wir gemerkt haben, daß ohne einen separaten Leadsänger irgend etwas fehlt. Also haben wir uns entschlossen, einen neuen Frontmann zu suchen und es gab daraufhin mehrere Vocal-Auditions, bei denen mehrere Sänger vorgesungen haben. Die Auswahl war allerdings ziemlich schwierig, weil wir jemanden gesucht haben, der einfach alles mitbringt. Er sollte Carls Sachen singen können, aber gleichzeitig eigenständig klingen ... und er sollte auch menschlich zur Band passen. Bevor Brian zur Band stieß haben wir ehrlich gesagt auch mit anderen Leuten gearbeitet, aber irgendwie hat das nicht richtig funktioniert ... jedenfalls nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Als Brian sich dann vorstellte haben wir gleich gemerkt, daß es paßt, und dann waren wir wieder in der traditionellen Fünfer-Besetzung komplett.
? Hatte diese Entscheidung auch etwas mit den Kritiken der Medien an Something Burning zu tun?
Nein, überhaupt nicht! Das war eine alleinige Entscheidung der Band. Ein Faktor, der für uns dabei auch wichtig war, sind die älteren Platten, denn wir wollten natürlich auch von diesen Alben live einige Songs spielen, und dabei ist ein Leadsänger eine enorme Erleichterung. Und VICIOUS RUMORS waren früher schließlich immer zu fünft.
? Warum habt Ihr das Cover in letzter Minute geändert?
Es ist eigentlich keine Änderung im eigentlichen Sinn, sondern das war eher ein Mißverständnis, zu dem ich gar nicht mehr allzuviel sagen will. Der erste Entwurf zeigt den Cyberchrist als Figur in Form eines Kreuzes. Diese Figur ist aber gleichzeitig ein menschliches Wesen und verkörpert die gesamte Menschheit. Die Form des Kreuzes steht natürlich für die Kreuzigung und die Grabsteine symbolisieren die gesamte Technologie, die früher von den Menschen erschaffen wurde. Die Nummern auf dem Körper des Cyberchrists repräsentieren hingegen die neueste Technologie, auf die der Mensch mittlerweile angewiesen ist. Das gesamte Bild soll den Konflikt zwischen alter und neuer Technologie darstellen und wie die Menschen mit diesem Konflikt umgehen.
? Kann man das auch als Kritik an der schnellebigen Technologieentwicklung ansehen? Schließlich ist die Menschheit mittlerweile fast schon dieser Technik ausgeliefert ...?
Ja, das stimmt schon. An dem Cover siehst du, wo wir herkommen und wo es hingeht. Cyberchrist ist in dem Sinn also ein Konzeptalbum, aber nicht eines der traditionellen Art, sondern es handelt vielmehr von einem Zentralthema, wobei die einzelnen Songs in einem Zusammenhang stehen, aber keine abgeschlossene Story erzählen. Also ein ziemlich abstraktes Thema, daß man vielleicht als visionären Alptraum einer immer mehr um sich greifenden Technologie bezeichnen könnte.
? Wie würdest Du das gesamte Album beschreiben, bzw. charakterisieren, sowohl von der Musik als auch in Zusammenhang mit den Lyrics?
Hm, schwierige Frage. Die Musik ist, was sie ist ... einfach VICIOUS RUMORS. Die Texte handeln von dem Konflikt, von dem wir gerade gesprochen haben. Ein Mensch wählt sich in das Netz der Technologie ein und sucht nach dieser Verschmelzung nicht mehr nach privatem Vergnügen, Geschäften oder Sex, sondern nach religiöser Vervollkommnung. Jetzt ist dieser Mensch der Cyberchrist. Du kannst dieses Thema auch als Warnung ansehen, daß man sich von der Technologie nicht lebendig begraben lassen sollte. Ganz am Schluß nimmt das Ganze aber mit Faith eine Wendung und es kommt erstmals auch ein positiver Aspekt durch Glaube und Hoffnung zum Ausdruck. Vielleicht öffnet das Album auch die Augen von vielen Menschen, die sich bisher bedingungslos dieser Technologie ausgeliefert haben. Um es ganz allgemein auszudrücken: Technologie ist an sich nicht böse, aber sie birgt viele Gefahren, über die man sich bewußt werden sollte.
? VICIOUS RUMORS haben in der Metalszene einen richtiggehenden Kultstatus, aber den richtigen Durchbruch habt Ihr nie geschafft. Habt Ihr Euch jemals Gedanken über einen Wandel zu kommerziell erfolgreichere Musik gemacht?
Nein, wir haben immer nur das gemacht, was wir gefühlt haben. Und unsere Fans haben uns dabei immer großartig unterstützt. Sie waren immer für uns da und haben über all die Jahre loyal zu uns gehalten. Dafür sind wir sehr, sehr dankbar und deshalb geht es für uns auch immer weiter. Wir machen ehrliche Musik und nur das, was wir für uns und für die Fans wollen. Unsere Fans haben immer zu uns gestanden und wir wollen mit unserer Musik genauso ehrlich zu ihnen sein, wie sie zu uns. Ein berechnendes Album, nur um mehr Erfolg zu haben, kam und kommt also nie für uns in Frage.
? Ich vermute, es sind demzufolge auch die Fans, die Euch den Idealismus und die Kraft geben, immer weiterzumachen und nicht die Flinte ins Korn zu werfen ...?
Das ist hundertprozentig richtig! Es sind die Fans, die uns mit ihrer Liebe und ihrer Unterstützung die Kraft und die Möglichkeiten geben, weiterzumachen. Gerade bei Live-Auftritten kommt der persönliche Kontakt zustande und du spürst richtiggehend das Feeling der Leute. Das ist das tollste Gefühl, was es gibt. Wir haben jetzt gerade ein paar Gigs in Holland gespielt und die Publikumsreaktionen waren einfach fantastisch. Und mit diesen sagenhaften Reaktionen feuern sie uns jeden Abend an und wir spielen uns demzufolge auch tierisch den Arsch für sie ab. Es ist einfach ein sensationelles Gefühl auf der Bühne zu stehen, in direkten Kontakt mit den Fans zu sein, und deren Reaktionen miterleben zu dürfen. Ich möchte an dieser Stelle allen Fans ganz herzlich dafür danken - Danke für alles! Wir werden weitermachen und ich bin sicher, daß wir uns auch im Jahr 2000 noch sehen werden. We'll keep going on!
? Jetzt mal eine ziemlich persönliche Frage: Steht Ihr weiterhin in Kontakt zu Carls Familie?
Ich selbst kann dazu relativ wenig sagen. Ich habe seine Familie nur einmal zusammen gesehen und das war traurigerweise bei seiner Beerdigung. Ich glaube, Geoff steht nach wie vor in ständigen Kontakt mit ihnen. Sie haben uns auch nach seinem Tod unterstützt und der Band die Kraft gegeben, auch ohne ihn weiterzumachen, obwohl das nicht leicht war.
Und Ihr, habt Ihr ihnen auch über seinen Tod hinweggeholfen? Ich glaube, es ist eines der grausamsten Dinge, die einem passieren kann, den Tod eines eigenen Kindes mitzuerleben ...?
Ja, auf jeden Fall, aber bitte versteh mich nicht falsch, mehr möchte ich dazu nicht sagen, weil das eben eine sehr persönliche Sache ist.
? Kann ich voll und ganz verstehen. Habt Ihr sonst noch Kontakt zu anderen ehemaligen Mitgliedern, z.B. Vinnie Moore oder Gary St. Pierre?
Ich glaube, Geoff trifft sich ab und zu mit beiden, aber das sind eher unregelmäßige Treffs.
? Habt Ihr im Vorfeld zu Cyberchrist eigentlich Gary gefragt, ob er wieder einsteigen will?
Nein, Gary ist soviel ich weiß aus der Musikszene ausgestiegen und möchte nicht mehr fest in einer Band mitwirken.
? Obwohl Ihr sehr bekannt seid und viele Erfolge vorzuweisen habt, müßt Ihr nebenbei trotzdem noch arbeiten?
Ich kann da nicht für die anderen reden, aber ich gebe nebenbei noch Gitarrenunterricht und das macht mir sehr viel Spaß. Und selbst wenn ich es finanziell nicht unbedingt nötig hätte, würde ich damit weitermachen, weil es mir - wie bereits gesagt - soviel Spaß macht.
Wolfgang Volk (01.08.1998)