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Kreator
Den eigenen Weg gehen ...
Nach dem ultrabrutalen Machtwerk Cause For Conflict überraschten Mille + KREATOR mit ihrer neuesten Scheibe Outcast, die härtemäßig zwar wieder in die Vollen geht, vom Tempo und der Struktur aber völlig anders ausgefallen ist. Auch das Line-Up hat sich wieder geändert. Ventor, langjähriger Gefährte Milles, ist wieder in die Band zurückgekehrt, und mit Tommy Vetterli (Ex-CORONER) konnte ein namhafter zweiter Gitarrist hinzugewonnen werden. Also Gründe genug, sich mit dem Chef persönlich über die Entwicklung und die neueste Veröffentlichung zu unterhalten. 

? KREATOR sind jetzt über 10 Jahre im Geschäft und immer noch angesagt. Ist es nicht sehr schwer, sich an der Spitze zu halten?
Das ist es auf jeden Fall. Du mußt die Band immer wieder neu überdenken. Man muß bei jeder neuen Platte das Konzept neu überdenken und neu gestalten, damit sich die Platten nicht immer gleich anhören. Man muß auch immer die Augen und Ohren offen halten und die Entwicklung der Musik verfolgen. Ich meine da sogar die Musik als solche und nicht nur die Metal Szene. Auch innerhalb der Band muß alles stimmen denn wenn das nicht der Fall ist, kann das auch nicht gutgehen.

? Bleiben wir bei der zeitlichen Entwicklung. Siehst Du eigentlich Unterschiede, wenn Du die Fans der 80er Jahre mit denen der 90er vergleichst?
Es gibt auch jetzt viele jüngere Fans, die ähnlich aussehen wie die jüngeren Fans in den 80er Jahren. Die tragen meistens schwarze T-Shirts und Jeans. Aber darum geht es ja gar nicht. Ich glaube, was Du meinst ist eher, inwiefern sich der Fankreis und das Verhalten geändert haben. Da hat sich allerdings schon etwas getan. Das sehe ich auch, wenn ich selber auf Konzerte gehe. Ich gehe auch zu Konzerten, die mit Metal nichts oder nur wenig zu tun haben und ich denke, der "Metal Fan" als solcher hat sich schon geändert. Es gibt Metal Fans, die zu Techno Veranstaltungen gehen, auf der anderen Seite gibt es natürlich auch noch die Die Hard Metal Fans, die nichts anderes als Metal an sich ranlassen. Es gibt da unterschiedliche Leute. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß in den 80ern eher das Klischeedenken vorherrschte - Metal sei die Musik der arbeitenden Bevölkerung etc. Mittlerweile hören auch viele Akademiker Metal. Das war vermutlich früher auch schon so, aber da waren sie wahrscheinlich nicht so stark vertreten. Die Entwicklung in der Gesellschaft, nicht nur in der Metal Szene hat sich verändert denn die Leute sind heute schon offener als früher.

? Standardfrage zum Line-Up. Warum wieder ein Wechsel?
Als ich die Demos zu Outcast gemacht habe war eindeutig, daß die Chemie in der Band nicht mehr gestimmt hat. Die Leute konnten mit den Songs einfach nicht so viel anfangen. Das ging dann soweit, daß sie die Lieder sogar umschreiben wollten. Es gab dann endlose Diskussionen und...und...und. Das hat mich schließlich zu den Entschluß gebracht, daß es so nicht weitergehen kann, und daß ich mich von diesen Leuten trennen muß. Die waren natürlich erst einmal richtig sauer, aber um in dieser Besetzung weiterzumachen, waren die musikalischen Differenzen einfach zu groß. Sie wollten das Band-Konzept in eine andere, nämlich in ihre Richtung lenken, aber sie hatten eigentlich gar kein Konzept. Es war einfach ihr Ego, würde ich sagen. Der Entschluß, Ventor wieder zurück in die Band zu holen kam daher, weil die Kommunikation zwischen Ventor und mir einfach 100%ig stimmt. Wir kennen uns jetzt schon ca. 20 Jahre, und daher paßt es auch hervorragend zusammen. Was Tommy betrifft, der war auch von Anfang an mein Wunschkandidat, weil er auch ein Klasse-Gitarrist ist.

? Würdest Du zustimmen, daß Tommy für die Band die beste Ergänzung ist, die Du je hattest?
Das sehe ich ähnlich. Ohne jetzt die anderen Gitarristen runtermachen zu wollen, aber es war nie so, daß ich mit einem anderen Gitarristen zusammen arbeiten konnte, der wirklich 100%ig meine Vorstellungen umsetzen konnte. Das geht vom Verständnis bis hin zur Kommunikation. Bei Tommy ist es so, daß ich ihm die Riffs nicht noch erklären muß; der kann die einfach spielen, während die meiste Zeit beim Songwriting mit den anderen Gitarristen darauf ging, denen zu erklären, wie die Riffs überhaupt gehen. Bei Tommy ist es so, daß er die Riffs von Anfang an gleich versteht, und dann seinen eigenen musikalischen Input dazu einbringt.

? Hat Tommy denn auch bei Outcast seinen Input bezüglich des Songwritings eingebracht?
Oh ja. Es war so, daß wir die Songs hier in Essen vorbereitet und ihm dann geschickt haben. Das waren erstmal nur Rohfassungen, zu denen er dann seine Ideen einbringen konnte. Das hat auch sehr gut geklappt.

? Bei musikalischen Stilwechseln wird von den Bands fast immer die "musikalische Weiterentwicklung" angegeben. Trifft das auch auf KREATOR zu und wie stehst Du generell zu dieser Aussage?
Der Begriff "musikalische Weiterentwicklung" ist einfach aus dem Grund schon etwas abgenutzt, weil es keinen anderen dafür gibt. Musikalische Weiterentwicklung ist natürlich auch sehr weit gefächert. Daß sich eine Band in eine andere Richtung entwickelt als eine andere ist ja klar, deshalb ist diese Aussage auch immer sehr pauschal. Bei KREATOR ist es so, daß eine musikalische Weiterentwicklung immer da war. Das war und ist die Basis für die Weiterentwicklung innerhalb der Band. Sie hat sich aber bei jeder Platte anders geäußert. Bei Cause For Conflict war es so, daß wir die Art der Musik, die wir in den 80ern gespielt haben, in die 90er transportiert haben. Das haben wir durch neuartige Breaks und eigenartigen Beats erreicht. Bei dem neuen Album hatten wir eine ganz andere Basis und sind da ganz anders rangegangen. Wir wollten keine ultrabrutale Platte machen, sondern wir wollten "catchy" Songs schreiben, Lieder, an die man sich erinnert und Songs, die auch leichter nachvollziehbar sind. Die Lieder sind zwar nicht so verschachtelt wie auf Cause For Conflict, aber trotzdem interessant. Das war die Basis für das Songwriting für Outcast.

? Die meisten Songs sind extrem riffbetont und atmosphärisch?
Genau, auf jeden Fall. Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, daß die jeweiligen Songs zu der richtigen Atmosphäre passen. Black Sunrise beispielsweise ist sehr traurig und sehr ruhig mit einem extremen, aber nicht brutalen Text. Es ist vielmehr ein melancholisches Lied. Dieser Song brauchte dann auch eine besondere Atmosphäre. Bei Phobia haben wir dann versucht, eine beklemmte, ängstliche Stimmung zu vermitteln, damit man sich in die Phobien hineinfühlen kann. Das war unsere Intension bei den neuen Songs. Der Titel des Albums, Outcast, hat auch schon lange vorher festgestanden, was eher untypisch für uns ist.

? Ist Outcast das durchdachteste Album, das Du bisher gemacht hast?
Jain, also ich würde nicht sagen, daß ich bei den anderen Scheiben einfach ins Studio gegangen bin und dort was eingeduddelt habe. Die Basis und die Musik war einfach anders. Die Basic-Tracks haben wirklich nicht lange Zeit in Anspruch genommen und es waren vielmehr diese Feinheiten, die du erst beim dritten oder vierten mal hörst. Die auf das Band zu bringen war wie eine Puzzlearbeit. Die wurden auch immer wieder neu überarbeitet oder anders abgemischt und das war sehr zeitaufwendig.

? Inhaltlich beschäftigst Du dich mit den verschiedensten Themen, von Politik über Religion bis hin zu gesellschaftskritischen Problemen. Ist diese Bandbreite auch auf Outcast abgedeckt?
Ja, aber diesmal ist nicht soviel Politik mit im Spiel. Meiner Meinung nach ist die Platte wesentlich persönlicher ausgefallen als die letzte. Cause For Conflict hat ja viele Themen angesprochen, mit denen ich mich persönlich auseinander gesetzt habe, wie z.B. Religion oder bestimmte politische Mißstände. Das gibt es auf Outcast alles nicht. Alle Songs setzen sich mit Stimmungen auseinander oder reflektieren bestimmte Momente. Nehmen wir einmal Leave This World Behind; dieses Lied kannst du von verschiedenen Standpunkten aus sehen. Irgend jemand meinte mal, das wäre eine Aufforderung zum Selbstmord und ich halte das für ein bißchen übertrieben. Es ist schon eine Aufforderung zum Abschalten, aber wie du das machst, bleibt dir überlassen.

? Das kannst du auch positiv oder negativ sehen?
Genau, wenn du das so extrem siehst wie dieser Typ, dann kannst du gleich deinen ganzen Lebenswillen abschalten. Du kannst einfach nur versuchen, deine Gedanken in eine gewisse Richtung zu lenken. Ob das was hilft...? Du lenkst dich schließlich nur von der äußeren Realität ab. Das ist so eine Sache, die in der heutigen Gesellschaft sehr stark vertreten ist. Du wirst von der Umwelt auch sehr stark beeinflußt und gelenkt, aber das lenkt dich von deiner eigenen Realität, die in dir selbst ist, lediglich ab. Das halte ich für unbefriedigend, denn du solltest einfach mal für dich selbst abschalten und zur Ruhe kommen. Dieses Thema findet sich auch bei vielen Songs auf der Platte, z.B. auf Whatever It May Take, da geht es darum, daß du einfach deine Ziele verfolgst und dich nicht ablenken läßt. Das ganze Album hat eigentlich die gleiche Aussage, es handelt von einem, der seinen eigenen Weg geht und irgendwo dadurch ausgestoßen ist. Es gibt so viele Leute, die dir sagen: "Hey, mache es doch lieber so. Das machen die anderen auch". Aber genau das sollte man nicht tun, weil man seinen eigenen Weg gehen muß, ich habe das eigentlich auch schon immer gemacht.

? Kommen wir zu einem anderen Thema. Wenn man so lange im Geschäft ist, freut man sich da eigentlich noch auf die anstehende Tour oder nervt das mehr?
Ich muß dir ganz ehrlich sagen, manchmal nervt das schon. Du sitzt für 12 Stunden oder mehr im Bus, um für eine Stunde auf der Bühne zu stehen und das geht schon an die Nieren. Andererseits rechtfertigt eben diese eine Stunde den ganzen Streß, wenn du dann auf der Bühne stehst und dieser Austausch mit dem Publikum stattfindet.

? Im letzten Jahr hattest Du einen Live-Mitschnitt und ein Video der Tour angekündigt. Wie sieht es damit aus?
Ja, du hast recht, das hatte ich. Es gibt da aber diverse rechtliche Probleme, weil Noise noch Rechte an den alten Songs hat. Wenn wir ein solches Paket, bestehend aus Live-CD, Video und gut aufgemachten Booklett herausbringen, dann wollen wir das auch wirklich gut machen. Dafür wären dann Mitschnitte von mehreren Gigs nötig, um einen guten Überblick über die letzten Jahre zu geben. Vielleicht kommt so ein Teil im Dezember oder Anfang nächsten Jahres raus, aber versprechen kann ich nichts.

? Was wünscht Du dir für die Zukunft?
Zunächst einmal Gesundheit, ich denke, das ist das wichtigste. Was ich mir sonst noch wünsche ... daß die Leute sich beruhigen. Weißt Du, ich habe mit angesehen, wie sich ein Nachbar von mir mit einer 44er auf offener Straße in den Bauch geschossen hat, das ist doch Wahnsinn. Ich wohne mitten in der Großstadt, dort ist es echt ätzend. Eigentlich würde ich gerne auf das Land ziehen, weil es dort ruhiger ist.

? Wie wär es mit dem Odenwald?
Ha Ha, das ist dann aber doch ein bißchen weit weg.

? Letzte Frage: Welche Frage würdest Du gerne gestellt bekommen, die Dir tatsächlich noch nie gestellt wurde?
Das hat mich schon mal jemand gefragt ...

? Scheiße, ich dachte das wäre originell ...
Hm, mir ist damals schon nichts eingefallen. Aber wie wäre es hiermit: Ich stelle Dir ein paar Fragen, die Du mir beantwortest, dadurch lernen Dich Deine Leser auch ein bißchen besser kennen.

? Huch, ... NaJa, ich habe jetzt ein ziemlich persönliches Review über Script For A Jester's Tear geschrieben. Ich denke, das langt erst mal. Wie auch immer, ich wünsche Dir erst mal alles Gute, vielleicht sehen wir uns auf der Tour.
O.k., Danke Dir. Ich denke schon, daß wir uns sehen werden ... bis dann.
Wolfgang Volk (01.09.1997)
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