Zwischen seinen beiden Rockopern Into The Electric Castle (1998) und The Human Equation (2004) veröffentlichte der Niederländer Arjen Anthony Lucassen im Jahr 2000 unter dem Obertitel The Universal Migrator die beiden thematisch zusammenhängenden, musikalisch jedoch unterschiedlichen Scheiben The Dream Sequenzer und Flight Of The Migrator. The Dream Sequenzer war eine melodische, atmosphärische und eher Progrock-orientierte CD, während Flight Of The Migrator sich in härteren sowie progmetallischeren Gefilden bewegte. Zum Start einer Reihe von Re-Releases aller AYREON Album legt InsideOut Music diese beiden Veröffentlichungen nun als Universal Migrator Part I & II in einer Special Edition als Doppelalbum neu auf. Besonders lobenswert: die Doppel-CD wird zum Preis eines Einzelalbums angeboten, außerdem ist das Booklet auf 36 Seiten erweitert und bietet neue Liner-Notes von Arjen mit Informationen über die Idee hinter Universal Migrator Part I & II und über die Zusammenhänge mit anderen AYREON Alben.
DIE STORY PART I
Wir schreiben das 22te Jahrhundert. Vor etwas mehr als hundert Jahren wurde durch einen verheerenden Weltkrieg alles Leben auf der Erde vernichtet. Während dieser Zeit befanden sich auf dem Mars einige Kolonisten, die den vernichtenden Ausgang des Final Experiment aus der Ferne verfolgen mussten. Die Lebensmittel-Vorräte der Kolonie gingen rasch zu Ende und so starb die gesamte Marskolonie aus ... bis auf eine Person ... die Hauptperson des Konzeptalbums ... auf dem unfreundlichen Planet Mars geboren ... ohne jegliche Vorstellung, wie bewohnbar die Erde einst einmal war. Um das Leben auf dem Mars einigermaßen erträglich zu machen, entwarfen seinerzeit findige Wissenschaftler der Kolonie eine Maschine, die denjenigen, der sich an sie anschloss durch Hypnose zurück in seine Kindheit und die Leben davor versetzen kann. Mit diesem Dream Sequencer unternimmt unsere Hauptperson eine Reise durch seine Inkarnationen.
THE DREAM SEQUENCER
The Dream Sequencer spricht vor allem die Liebhaber von atmosphärischen, spacigem, leicht düsterem Neoprog an. Ein toller und spaciger Synthi-Track stimmt auf die angenehme Atmosphäre der kommenden 70 Minuten ein. Mit My House On Mars gibt es mit Johan Edlund (TIAMAT) und der AFTER-FOREVER Frontfrau Floor Jansen eine kraftvolle Midtempo AYREON-Hymne mit A Deeper Kind Of Slumber-Flair. Düster, elegisch, stampfend und dennoch äußerst dahinschmelzend wird es dann bei 2084 mit LANA LANE. Die Zeitreise geht weiter, z.B. ins Jahr 1969 zur Mondlandung (balladesk, toller Instrumentalpart mit gefühlvollen Keyboard-Guitar-Doppel bei kraftvollem Hammond-Support), zur Szenerie eines Rembrandt-Bildes (herrliches Mellotron, verwaschene Piano-Klänge, wabernde Gitarre), zu einem Maya-Tempel (orchestraler Song mit Streichern, leiser Akustikgitarre, angenehmen Vocals von Jaqueline Govaert und vergnügtem Mellotron-Sound), zu Stonehenge (DAMIAN WILSON) bevor Neil Morse in einer Mixtur aus SPOCK'S BEARD, BEATLES, MIKE BATT und (natürlich) AYREON als First Man On Earth an der Reihe ist. Das Album schließt in Musical-Manier mit einer Reprise des Openers ... The Dream Sequencer. Fazit: wer melodischen Space-Rock und/oder song-orientierten Soft-Prog liebt, der kommt um Teil 1 dieses Werks nicht drum herum. Heavy Metal Freaks und Progmetal-Maniacs werden hier möglicherweise nicht so sehr auf ihre Kosten kommen, aber genau deswegen gibt es ja noch den zweiten Teil (Flight Of The Migrator), zu dem wir jetzt kommen.
DIE STORY PART II
Wie am Ende des ersten Teils bereits gesagt unternimmt unsere Hauptperson mit dem Dream Sequencer auf CD1 eine Reise durch seine Inkarnationen. Auf CD2 verlangt er der Maschine als erster neue Anforderungen ab: er will noch weiter zurück und reist schließlich zum Zeitpunkt kurz vor dem Urknall. Es herrscht das Chaos. Während des Urknalls entsteht die erste Seele des Universums - der Universal Migrator. Dieser teilt sich in eine Vielzahl kleinerer Bestandteile auf, die sich jeweils auf den Weg durch die Tiefen des Alls machen, um nach Planeten zu suchen, auf denen sie sich niederlassen können. Auf diese Weise entstehen auf vielen Planeten Intelligenzen und Lebensformen. Mit Hilfe des Dream Sequencers folgt unser Marskolonist einer dieser Seelen auf ihrer langen Reise, die ihm astronomomische Phänomene wie Quasare, Pulsare, Schwarze Löcher und Wurmlöcher erfahren lässt.
FLIGHT OF THE MIGRATOR
CD2 legt los mit dem furiosen Instrumental Chaos. Der Kochtopf des Universums brodelt, ächzt, es herrscht rotierendes Chaos ... bis zum ... Urknall! Mit Russel Allen, grimmiger Hammond-Orgel, mystischem Chor, brutalem Drive, dramatischen Streichern aber auch sehr melodischen Passagen hören wir dann The Dawn Of A Million Souls, gefolgt von einem atemberaubenden Melodic-Speedmetal-Ritt durch Phänomene des Weltalls während der Journey On The Waves Of Time mit Ralf Scheepers am Mikro. To The Quasar führt uns atmosphärisch und sanft zum Taurus Pulsar, worauf sich die in der Luft liegende Spannung beim Quasar 3C273 mit herrlich kräftigem Progmetal mit Andi Deris an den Vocals entlädt. Und solltet Ihr Euch jemals gefragt haben, wie Metal am Rande eines Schwarzen Lochs klingt ... Bruce Dickinson und Lana Lane geben Euch auf Into The Black Hole die Antwort. Fabio Lione und Timo Kotipelto begleiten uns dann Through The Wormhole und Out Of The White Hole (tolle Keyboards!) bevor es mit The Solar System energiegeladene, pulsierende ProgMetal-Action der Sonderklasse auf die Ohren gibt. An dieser Stelle gibt der Dream Sequencer wegen Überladung auf und schaltet sich ab. Der in der Maschine befindliche letzte Marskolonist stirbt während seiner hypnotischen Reise und verschmilzt zum The New Migrator, einem freakigen, progkeyboard-getränkten Doublebassdrum-Track mit Ian Parry. Übrigens: wer sich Songs im Stile der Herkunfts-Bands der beteiligten Sänger erhofft, liegt falsch. Das hier ist ein AYREON-Album und genauso klingt es auch. Es ist auch interessant, so manche heroische Metalstimme mal in komplett anderem Umfeld und den typischen AYREON-Vocal-Arrangements zu hören. Verglichen mit den harten Tracks von Into The Electric Castle geht es hier etwas komplexer zur Sache; das Album braucht damit ein wenig länger bis es zündet ... aber es zündet ... und wie!
Wie immer ist Arjens Gitarrenspiel erfrischend wie ein Whirlpool und AYREON-Fans werden um diese Doppel-CD (bzw. beide separate Alben) nicht herumkommen.