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Tracy Hitchings
Zu wenig attraktive Frontmänner ...?
Tracy Hitchings braucht man wohl nicht lange vorzustellen, hat sie sich doch über lange Jahre hinweg mit den verschiedensten Projekten als eine der bekanntesten Sängerinnen der Progszene einen Namen gemacht - angefangen mit QUASAR in den 80ern. Seit 1998 hält sie nun schon als Nachfolgerin für Damian Wilson bei LANDMARQ das Mikro in der Hand. Grund genug, mal zu rekapitulieren, was sich für sie während dieser Zeit so alles getan und wie sie diese Zeit erlebt hat ... 

? Du bist nun schon seit einer ganzen Zeit im Prog-Geschäft mit dabei, warst aber vor LANDMARQ eigentlich nie wirklich dauerhaftes Mitglied einer Band. Ist das somit eine ganze neue Erfahrung für Dich?
Nun, meine erste Band in diesem Musikbereich war QUASAR, ich war zwei Jahre festes Bandmitglied bevor die Band auseinander ging, ansonsten wär's wohl noch eine ganze Weile weitergelaufen. Wir waren alle total engagiert für diese Band, wir hatten eine Menge Konzerte und tonnenweise Proben, da gab's nicht viel Zeit für andere Projekte, es war eine sehr intensive Zeit. Während unserer letzten Auftritte in Holland, die wir mit PENDRAGON zusammen gemacht haben, sprach ich mit Clive Nolan, und er erwähnte ein Projekt, an dem er arbeitete, und fragte ob ich interessiert dran wäre, mitzumachen. Daraus wurde dann das erste STRANGERS ON A TRAIN-Album, mit dem wir weitermachten als QUASAR auseinander ging. Wir haben mit STRANGERS ON A TRAIN ein paar Auftritte gehabt, aber es gab keine konkreten Pläne, mehr daraus zu machen als nur ein Projekt - na ja, es sei denn ein großes Label würde uns mit Tonnen von Geld überhäufen wollen und uns ein interessantes Angebot machen! Einige Zeit danach kam das holländische Label SI Music, die das STRANGERS-Album herausgebracht hatten, und wollten ein Solo Album von mir, also lief erst mal das und eine Tour Band wurde zusammengestellt. Kaum war das Album (From Ignorance To Ecstasy) draußen, kamen LANDMARQ auf mich zu und fragten, ob ich bei ihnen mitmachen wolle, um auf ihrem ersten Album Solitary Witness zu singen. Aber SI, die auch LANDMARQ herausbrachten, waren dagegen, weil sie dachten, damit würde ich die Verkaufszahlen meines Solo Albums gefährden. Ich wollte total gerne bei einer guten Band mitmachen, und obwohl ich mit großartigen Leuten wie John Wetton und Steve Hackett (eins der Sachen die ich mit dem Österreicher Musiker GANDALF gemacht habe) und vielen andere zusammengearbeitet habe, kam einfach kein festes Angebot bezüglich einer festen Band. Aber die Sache mit dem "fest" führt eh ein bisschen in die Irre, weil es für jede Band ohne großes Label im Rücken ziemlich unwahrscheinlich (wenn auch nicht unmöglich) ist, dass sie mit ihrer Musik ihren Lebensunterhalt verdienen können. Also läuft sozusagen alles ohnehin nur auf "Projektbasis", und wenn man genug Energie hat, ist es kein Problem, bei mehr als einer Sache dabei zu sein.

? Wessen Idee bei LANDMARQ war es, Dich auf den Posten anzusprechen?
Diesmal? Naja, als ich erfuhr, dass es noch gar nicht feststand ob Damian überhaupt noch auf dem zukünftigen Album Science Of Coincidence singen würde, hab ich schon selber zum Ausdruck gebracht, dass ich nicht abgeneigt wäre, und da wir ja alle vorher in diversen Bands zusammengearbeitet hatten, vor allem bei QUASAR, bei denen jeder außer Bassist Stevie Gee mal irgendwann mitgespielt hatte, hatten sie mich ohnehin schon ins Auge gefasst.

? In gewisser Hinsicht finde ich es schon ein bisschen gewagt, eine Sängerin als Nachfolgerin für Damian zu wählen, schließlich könnte ein Imagewechsel der Band die Folge sein. Ich denke da zum Beispiel an THE GATHERING, die nach dem Einstieg von Anneke van Giersbergen als Sängerin eine vollkommen andere Band wurden (was natürlich nichts schlechtes sein muss ...). Wie denkst du darüber in Bezug auf LANDMARQ?
Ich weiß, dass das aus der Sicht der Band weniger eine Imagefrage war als eine Frage, jemanden zu finden, der den Job überhaupt machen konnte, und der dem ganzen den gewünschten Schliff geben würde. Da wollten sie keinen Kompromiss eingehen. Natürlich war uns klar, dass es Vergleiche geben würde, aber sie dachten eben, dass es weitaus schwerer sei, einen Sänger von Damian's Fähigkeiten zu finden (schließlich hatten sie da ja bereits in der Vergangenheit diverse Erfahrungen gesammelt), als einen völlig neuen Weg zu gehen, eben mit einer Sängerin.

? Erzähl doch mal ein bisschen über die anfänglichen Reaktionen auf Science Of Coincidence, die erste CD mit Dir an den Vocals ...?
Nun, zum Glück waren die Reaktionen meist sehr positiv. Klar gab es einige Die-Hard-Damian-Fans, die das ganze nicht so toll fanden, andere wiederum waren äußerst angenehm überrascht!

? Und wie waren die Reaktionen des Publikums während der ersten Konzerte?
Im Prinzip dasselbe in Grün. Wir haben uns lange vorbereitet, sowohl auf das Album als auch auf die Tour. Ich weiß, dass eines der Probleme, die die Band mit Damian hatte, war, dass er so schlecht verfügbar war, er war mit so vielen anderen Dingen beschäftigt und fand kaum Zeit für die Proben - bei den meisten Proben speziell vor einem Album oder einer Tour waren musste die Band sogar völlig ohne ihn auskommen. Ich dagegen wollte und konnte bei jeder einzelnen dabei sein, und die Jungs sagen das würde einen riesigen Unterschied machen, was das Gefühl der Zusammengehörigkeit als Band angeht.

? Besonders würde mich ja mal der Gig vom November 1998 in Utrecht interessieren, wo Ihr Special Guest bei MARILLION gewesen seid ...?
Ja, das hat großen Spaß gemacht, und anfangs hatten wir ein bisschen Bammel, vor lauter Leuten zu spielen, die uns noch nie gehört hatten! Aber die Reaktion aus dem Publikum war absolut erstaunlich, und ich denke wir haben da etliche neue Fans gewonnen. Auch die Jungs von MARILLION waren sehr nett zu uns, was sehr schön war!

? Als krönender Abschluss Deines ersten Jahres bei LANDMARQ verlieh die Classic Rock Society Dir die Trophäe für die beste Sängerin. Könnte man demnach sagen, dass das Jahr 1998 äußerst erfolgreich für Dich verlaufen ist?
Ja, das war eine nette Überraschung. Wir waren sowieso in Rotherham vor Ort, und Dave Wagstaffe wusste schon, dass ich gewonnen hatte, aber er hat mir nichts davon gesagt. Es waren eine Menge Freunde da, und natürlich war auch das übliche Trinkgelage in vollem Gange, und Dave versuchte die ganze Zeit, mich davon abzuhalten, zuviel zu trinken, bevor ich meinen Award in Empfang nehmen durfte. Dave Greenslade übergab die Awards dieses Jahr, und ich will mal sagen, ich benahm mich vorbildlich! Ich habe diesen Preis 1995 schon einmal gewonnen, als MARILLION die Awards überreicht haben. Übrigens hat Damian den Award für den besten männlichen Vokalisten gewonnen, es lief also für LANDMARQ ziemlich klasse.

? Welche Songs aus der Damian Wilson-Ära singst Du am liebsten, welche weniger gerne?
Diejenigen die ich sehr gerne singe, sind auf dem neuen Live Album mit drauf, es sind die Songs Borders, Tailspin und Solitary Witness. Es hat aber nichts damit zu tun, dass ich einen Song weniger mag, da spielen einfach andere Faktoren eine Rolle. Grundsätzlich müssen die Songs für meine Tonlage umgeschrieben werden, und manchmal ist eine andere Tonart eben nicht mehr das Wahre für die Instrumente. Wenn zum Beispiel in der ursprünglichen Tonart offene Akkorde für die Gitarre vorgesehen waren - das klingt mit einem Capo einfach nicht mehr so gut wie vorher. Außerdem hat Damians Stimme auf manchen Songs so eine gewisse "stahlharte scharfe Schneide", und das passt zu gewissen Sections eben viel mehr als meine Stimme, also war es eine Frage, welche Songs überhaupt zu meiner Stimme passen und umgekehrt. Davon abgesehen singe ich natürlich am liebsten Songs, bei deren Entstehung ich direkt mitgewirkt habe.

? Im Vorfeld zur Veröffentlichung von Science Of Coincidence hat LANDMARQ nicht nur den Sänger, sondern auch den Produzenten gewechselt ...?
Das war ausschließlich eine Frage der Verfügbarkeit. Die Thin Ice Studios, wo die Band normalerweise aufnimmt, waren ausgebucht, und Mike Stobbie, der wie auch die Leute von Thin Ice ein guter Freund für uns ist, bot seine Dienste an, und wie sich gezeigt hat war's auch noch ausgezeichnete Arbeit von ihm.

? Eine Frage, die sich SängerInnen wohl ständig anhören dürfen: Wie stark bist Du am Songwriting einerseits bzw. an den Texten anderseits beteiligt?
Ich bin sogar sehr stark beteiligt! Ich schrieb die Masse der Lyrics, und praktisch alle Vocal Lines auf dem letzten Album.

? Ein langjähriger musikalischer Begleiter von Dir ist Clive Nolan. Wird es bzw. hat es da eine Veränderung in Bezug auf Deine Zusammenarbeit mit ihm gegeben? Und wie steht's mit einem weiteren STRANGERS ON A TRAIN-Album? Irgendwelche Pläne?
Das dritte STRANGERS-Album steht jetzt schon seit einer Ewigkeit in der Warteschleife. Das ist alles eine Frage der Koordination zwischen dem Label Verglas, die das Finanzielle regeln, den Thin Ice Studios, die während der geplanten Aufnahmezeit frei sein müssen, und dann natürlich der Zeit der einzelnen Teilnehmer. Aber es kommt ganz bestimmt noch zustande. Ich habe keine Ahnung ob sich bei der Zusammenarbeit zwischen Clive und mir etwas ändern wird - ich wäre sehr gerne mehr beim Songwriting beteiligt, aber ich bin mir nicht so sicher, ob's Clive recht ist, wenn ich da meine Nase reinstecke.

? Das bringt mich zur nächsten Frage - planst Du ein weiteres Solo-Album?
So wie's schon mal gelaufen ist kann ich mir das eigentlich nicht mehr vorstellen, aber ganz ausschließen will ich's auch nicht. Clive ist außerdem auch ziemlich beschäftigt, vor allem mit ARENA. Vor einer Weile habe ich mit Nick Barrett von PENDRAGON gesprochen, ob wir mal ein Album zusammen machen, aber da ist noch nichts konkretes dabei rumgekommen. Wir werden ja sehen, ob irgendwas in der Richtung passiert.

? Auf der LANDMARQ Homepage steht zu lesen, dass Ihr mit dem Schreiben eines neuen Albums begonnen habt. Gibt's schon einen Titel oder einen angepeilten Veröffentlichungstermin?
Wir haben schon an ein paar neuen Songs gearbeitet, und wir haben eine ganze Menge neues Material "auf Halde", bis jetzt aber noch ohne Titel oder Veröffentlichungstermin. Am Ende ist das immer eine Frage der finanziellen Mittel, weil LANDMARQ mit Synergie ihr eigenes Label haben, und Geld ist immer der Punkt, der letztendlich entscheidet.

? Dann habt Ihr ja inzwischen auch Euer erstes Live-Album unters Volk gebracht ...?
Ja, das ist jetzt wie gesagt veröffentlicht worden und heißt Thunderstruck, und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Es wurde während der letzten ein-einhalb Jahre auf verschiedensten Konzerten aufgenommen. Mein Kompliment an Thin Ice auf der Produktioner-Seite für die erstklassige Arbeit, und natürlich auch an unsere live Crew und an jeden der daran beteiligt war. Es gibt auch einen zweiten Teil, der im Sommer veröffentlicht werden wird.

? Eine letzte Frage: Warum glaubst Du, gibt es so wenige Frauen in der Progszene, sowohl aktiv als auch unter den Zuhörern/Fans?
Da weiß ich wirklich keine Antwort drauf! Wie wir ja alle wissen, ist die Rockszene im allgemeinen eine Männerdomäne, und für eine Frau ist es viel schwieriger, als Künstlerin ernst genommen zu werden, erst recht wenn sie kein sexy Image verkörpert! Und ich glaube nicht, dass Prog im allgemeinen in gleicher Weise mit Sex verknüpft ist wie zum Beispiel in der Metalszene, deshalb ist es vielleicht schwieriger, überhaupt zur Kenntnis genommen zu werden. Das ist aber nur meine Mutmaßung. Ich bin sicher, es hat nichts damit zu tun, dass es vielleicht zu wenig gute weibliche Vokalisten gibt! Und was den Punkt betrifft, dass auch im Publikum so wenig Frauen sind - das ist ein noch ein größeres Rätsel. Vielleicht gibt es einfach zu wenig attraktive Frontmänner!
Erik Gorissen (01.07.2000)
Weiteres zu Tracy Hitchings:

- From Ignorance To Ecstasy (CD-Check)